Tilmann Raithelhuber:An(ge-)kommen!?

Advent! An diesem Wochenende beginnt der Advent und der Blick richtet sich nach vorne: Nach dem dunklen November kommt uns nun ein "Licht" entgegen. Es wird von Sonntag zu Sonntag heller! Gott sei Dank!
Advent = Ankunft
Eine neue Zeit bricht an.
Seit Sommer lebe und arbeite ich in einer mir davor unbekannten Gemeinschaft. Kleine und große Menschen mit einer Hörbeeinträchtigung kommunizieren in einer mir fremden Sprache mit Gebärden, Gesten und Mimik. Ich verstehe oft sehr wenig, mache viele Fehler beim Erzählen und fühle mich manches Mal "behindert".
Wer ist "behindert"? Schwerhörige und gehörlose Menschen oder ich, der ich mich in ihrer Gemeinschaft nicht vernünftig ausdrücken kann? Die Rollstuhlfahrerin, welche die zwei Stufen vor der Kirche nicht überwinden kann, oder die Kirchengemeinde, die sich keine Gedanken über die Barrierefreiheit ihrer Angebote macht?
Was braucht es, dass wir Menschen wirklich ankommen können?
Genau vor 10 Jahren kamen viele junge Menschen völlig erschöpft aus Syrien hier in Neuwied an. Die Turnhallen, nicht nur in Heddesdorf, waren plötzlich voller entwurzelter Menschen. Viele Kirchengemeinden haben sich damals der Herausforderung gestellt und die Türen ihrer Gemeindehäuser für diese Menschen geöffnet. Über die Sprachbarriere hinweg wurde sich kennengelernt, Deutsch gelernt, Arbeit gesucht und sogar Freundschaften sind entstanden. Vielen Geflüchteten war damals an einer schnellen Integration in ihrer neuen Heimat gelegen: Sie begleiten u. a. seit Jahren die Karnevalswagen im Rosenmontagszug als Sicherheitspersonal, suchten sich schnell erste Jobs als Zeitungsverteiler. Vor allem aber: Deutsch lernen und Arbeit finden.
Heute sind die meisten Integrationscafés Geschichte. Aber es ist schön, die Menschen von damals in der Stadt zu treffen und ihren Werdegang zu verfolgen: Wie sie in Neuwied angekommen sind als Mitarbeiter*innen der Stadtverwaltung, in einem Architekturbüro, in der Küche eines Restaurants oder des Seniorenheims, als Steuerberater*in und Bäckerei-Fachverkäufer*in. Natürlich prägen auch sie alle das "Bild" ihrer neuen Heimat.
Vor allem aber bringen sie Neuwied und Deutschland wirtschaftlich und gesellschaftlich mit voran: zurück in bessere Zeiten.
Lassen auch wir sie ankommen!?
Advent 2025 = Ankunft; eine neue Zeit bricht an! Ganz menschlich, weil Gott ebenso kommt: als Mensch unter Menschen. Gott kommt, damit seine Vorstellung von friedlichem und gerechtem Miteinander in Jesus ganz menschlich wird. Schon damals in eine Welt voller Probleme und Despoten, mitten hinein in Ausgrenzung, Flucht und Vertreibung.
Gottes Kommen aber verspricht Frieden, Wohlergehen und Heil – unabhängig von Beeinträchtigungen, Lebensgeschichte und Herkunft.
Im heute beginnenden Advent 2025 sind wir alle eingeladen, Gottes Kommen freudig zu erwarten und hier mitten unter uns wahrzunehmen! Gottes Shalom komme uns dabei entgegen!
Tilmann Raithelhuber, Pfarrer für Gehörlosenseelsorge